Lesenswertes für kritische Kollegen

Wir stehen für unsere regionalen und überregionalen Kollegen gerne für sachliche Diskussion und das kritische Ringen um die beste Lösung im Umgang mit der COVID-19-Pandemie zur Verfügung. Pauschale oder unsachliche Argumentation gegenüber gemeinsamen Patienten schaden dagegen u.E. mehr als sie nutzen. Nehmen Sie daher für jeden aus Ihrer Sicht diskussionswürdigen Fall gerne mit uns Kontakt auf.

Antikörpertests haben nach unserer festen Überzeugung einen berechtigten Platz in der diagnotischen Kette der COVID-19-Pandemie. Die diagnostische Aussagekraft von Antikörper-Tests wird in der öffentlichen Diskussion pauschal in Frage gestellt. Beweise, die Studienergebnisse oder Testgütekriterien umfassen, werden i.d.R. nicht vorgetragen. (Korrekte), aber eben für alle diagnostischen Tests geltende statistische Grundsatzerwägungen führen und führten zu einem verzerrten Bild. Die Verunglimpfung hat u.E. derzeit weniger mit sachlicher, sondern eher mit Interessen-geleiteter Diskussion zu tun.

 

Fakt ist, dass auch der Nachweis viraler RNA (Abstrich auf SARS-CoV-2-(Corona) Virus) deutliche Schwächen in der diagnostischen Aussagekraft aufweist. Hierfür wollen wir die Ergebnisdarstellung einer chinesischen Studie, deren vollständigen Text hier hinterlegt ist, zitieren: 

 

In der Abbildung ist die Rate der positiven Tests von COVID-19-Patienten im Zeitverlauf für Antigen- und Antikörper-Nachweis dargestellt. Man erkennt auf den ersten Blick, dass die Rate der positiven Testergebnisse im Abstrich zu keinem Zeitpunkt die Marke von 80% deutlich überschreitet. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass von 5 Patienten, die Überträger der Erkrankung sind, nur 4 erkannt werden. Einer von fünf Patienten (zwei Wochen nach Symptombeginn sogar jeder Zweite) wiegt sich in falscher Sicherheit: Sie/ er glaubt, nicht infektiös zu sein, hat ggf. aber dennoch Risikopatienten im Umfeld angesteckt.

Beim Antikörpertest steigt die Genauigkeit des Tests mit der Zeit. In der Anfangsphase der Erkrankung ist der Antikörpertest für diagnostische Zwecke weitestgehend unbrauchbar, auf jeden Fall aber dem Abstrich unterlegen. Ihn innerhalb der ersten 10 Tage nach Beginn der Symptome durchzuführen, wäre Körperverletzung gegenüber dem Praxispersonal, denn dieses könnte sich bei dem zu untersuchenden Patienten ohne Zusatznutzen anstecken. Ab einem Zeitraum von mindestens 11 Tagen nach Symptombeginn ist der Antikörper-Test aber deutlich aussagekräftiger als es der Abstrich zu jedem Zeitpunkt war. Wir empfehlen unseren Patienten daher, frühestens zwei Wochen nach der zu klärenden Erkrankung den Antikörper-Test durchzuführen.

 

Welche Fragestellung kann der Antikörper-Test beantworten? 

Sinnvoll ist der Antikörper-Test, wenn ein negativer oder kein Abstrich vorliegt, der Patient aber annimmt, dass sie/ er eine/ einer von den 20 bis 50% ist, bei denen der Abstrich ein falsch negatives Ergebnis erzielt hat, oder kein Abstrich aufgrund der RKI-Vorgaben durchgeführt wurde. Wenn IgG-Antikörper gegen das Virus vorliegen, so kann mit einer etwa 95%-igen Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass die COVID-19-Erkrankung durchgemacht wurde. Ein negatives Ergebnis sagt das Gegenteil mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit. Auch unter Berücksichtigung der Vortest-Wahrscheinlichkeit von 50% (bei uns der Patient, der mit mindestens dieser Wahrscheinlichkeit von einer Erkrankung ausgeht, weil er ansonsten den Test nicht auf eigene Kosten durchführen lassen würde) gilt dies, wie man in der Simulation leicht selbst für die positiven und negativen Tests errechnen kann.   

 

Welche Aussage kann kein Testverfahren treffen?

Kein diagnostischer Test kann mit 100%- oder sogar "nur" 95%-iger Zuverlässigkeit eine COVID-19-Erkrankung mit Beginn von Erkältungssymptomen ausschließen. Noch Besorgnis-erregender ist, dass ein nicht unerheblicher Teil der SARS-CoV-2-Infizierten keine Symptome hat und damit ohne Testung vollständig unerkannt bleibt. In einer Studie aus Italien liegt der Anteil der Infizierten ohne Symptome bei 41,1 (!) bzw. 44,8 (!) %.  Die Sicherheit, beim Kontakt mit Risikopersonen nicht COVID-19-erkrankt zu sein, existiert also nicht. 

Damit wird es eine Sicherheit, nicht "CORONA-ansteckend" zu sein, durch keinen Test und zu keiner Zeit geben können. Positive (im Abstrich oder im Antikörper-Test) sollten dagegen zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung umgehend all jene informieren, mit denen sie relevanten Kontakt hatten. Alle Bürger müssen die Verhaltensregeln zur Vermeidung von Ansteckung daher weiter konsequent umsetzen. Die Vielzahl der Maßnahmen ist dabei entscheidender als jede Maßnahme allein (wie z.B. Maskenpflicht, Meiden sozialer Kontakte und die Hygieneregeln). Auch wenn wir dies ungerne akzeptieren wollen: Die aktuellen Einschränkungen bleiben daher weiterhin bis auf Weiteres die "sicherste Strategie". Nur eine ansteckende Person, die wenig Kontakt zu anderen hat, kann die Reproduktionszahl unter 1 halten. Würden die 20% bis 50% unerkannt ansteckenden Bürger wie bisher ihre sozialen Kontakte pflegen, sind schnell wieder Reproduktionszahlen von >2 und damit die Grenzen des Gesundheitssystems erreicht. Für interessierte Kollegen ist ein Blick auf die Simulation lohnenswert. 

 

Fazit:

Wir versuchen durch die Arbeit in unserer Praxis unseren Beitrag für die Eindämmung der COVID-19 Pandemie zu leisten. Wir sind nicht redlicher, nicht schlauer und auch nicht wirtschaftlich denkender als andere Kollegen, die anderer Meinung sind. Wir sind auf der Suche nach der besseren Antwort und gehen das Risiko ein, unsere Bewertungen der Vergangenheit korrigieren zu müssen. Dabei wollen wir ausschließlich evidenzbasiert argumentieren, nicht polemisieren und unseren Patienten bestmöglich zielführende Antworten auf deren Fragen liefern.

Das Bessere ist der Feind des Guten (Voltaire).

Wir freuen uns auf Ihre konstruktive Kritik,

 

mit kollegialen Grüßen

 

Dr. Dr. Heinz Giesen