Aussagekraft des COVID-19-Antikörper-Tests

Die Aussagekraft der Antikörpertests wird derzeit sehr kritisch diskutiert. Wir versuchen, diese Aussagekraft durch unsere eigene Studie zu verbessern und wollen Ihnen nachfolgend den Stand der Diskussion darstellen.

Bei der Bewertung des Antikörper-Tests sind zwei Begriff derzeit besonders im Fokus: Immunität und Kreuzreaktion.

Bei einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung kann eine Immunität angenommen werden (NDR Coronavirus-Update: Folge 36, Seite 5ff). Noch nicht ausreichend erforscht ist jedoch, inwieweit ein positiver Antikörper-Nachweis ein Beleg/ Beweis für die Immunität ist. Durch eine Kreuzreaktion mit den schon lange Zeit bekannten "Corona-Erkältungsviren" ist prinzipiell eine Verzerrung des Test-Ergebnis möglich. Die Wahrscheinlichkeit einer Kreuzreaktion ist für die IgM-Antikörper größer als für die IgG-Antikörper (siehe hierzu auch die Ausführungen von Prof. Drosten in den Folgen 31, 33 und 36). Insofern kann die Aussagekraft des Antikörpertests also durch die Kreuzreaktion eingeschränkt sein. Damit ist es auch richtig, dass keine "100%-ige-Aussage" getroffen werden kann. Das Fehlen von 100%-iger Sicherheit ist in der Medizin aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Aus diesem Grund wird das Ergebnis einer Studie als "gesicherte Erkenntnis" angenommen, wenn das sogenannte Signifikanzniveau in einer nach den Regeln der Kunst durchgeführten Studie erreicht ist und das Ergebnis somit mit >95%-iger Wahrscheinlichkeit "richtig" ist.

 

Welchen Nutzen hat der Antikörper-Test nach unseren Erfahrungen?

Die Tests können ihren Beitrag zu zwei wesentlichen Fragestellung leisten:

a) Gruppe der Patienten, die mit einer SARS-CoV-2-positiv getesteten Person gemeinsam im Haushalt leben oder mit einer solchen intensiven Kontakt hatten: Bisher ging man davon aus, dass diese Personen -aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr- ebenfalls erkrankt sind. Wie wir mit unseren Test häufig zeigen konnten und durch neue Erkenntnisse auch erklärt ist, ist dies nicht richtig. Wenn keine IgG-Antikörper bei diesen Personen vorliegen, so ist weiterhin eine Ansteckungsgefahr gegeben. Die Gruppe derer, die erwartet haben, dass sie die Erkrankung bereits durchgemacht haben, aber im Antikörpertest negativ getestet wurden, ist unsere größte Gruppe (siehe Studienergebnisse). Insofern besteht für diese Gruppe nun Klarheit, dass sie weiter alle Empfehlungen zur Vermeidung einer Ansteckung konsequent umsetzen müssen.

b) Gruppe der Patienten, die im intensiven Kontakt mit SARS-CoV-2-positiv getesteten Personen standen, aber im Abstrich negativ getestet wurden: Für diese Gruppe, insbesondere aber für die Menschen, die mit diesen Patienten Kontakt hatten, gibt es eine für Laien beunruhigendere Erkenntnis: Der Abstrich ist keinesfalls ein so zuverlässiger Parameter, wie dies im Allgemeinen vermutet wird. Die Quote der "falsch negativen Tests" für den Abstrich ist in dem von uns mit dem Antikörpertest untersuchten Klientel sehr hoch. Die Art des Abstrichs ist für die Testgüte sehr entscheidend. Der Rachenabstrich liefert die schlechtesten Ergebnisse, besser ist der Abstrich aus tiefem Rachen und Nase. Noch besser ist es, wenn auch etwas "aufgehusteter Schleim" in der Probe enthalten ist. Wenn die Durchführung des Abstrichs also fehleranfällig ist, kann auch die beste Labormethode (PCR-Methode) keine genauen Ergebnisse liefern. In Anbetracht, dass die PCR-Testung und die Entnahme des Abstrichs deutlich teurer sind als die Analyse der Antikörper, ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis flächendeckender Abstriche aus unserer Sicht kritisch zu diskutieren. Darüber hinaus bieten negative Abstriche eben keine hinreichende Sicherheit, dass Hygiene-Maßnahmen oder Kontaktverbote zu Risikogruppen gelockert werden könnten.

 

Wann hat der Antikörper-Test keinen Nutzen?

Zum Screening, d.h. der Früherkennung einer Infektion oder auch der flächendeckenden Diagnostik, ob die COVID-19-Erkrankung durchgemacht wurde, ist der Test sicher nicht geeignet. Dies liegt insbesondere an der sogenannten Vortest-Wahrscheinlichkeit. D.h. ein Test ist weniger aussagekräftig, wenn die Anzahl der zu erwartenden positiven Befunde in einer Untersuchungsgruppe klein ist. 

Eine gute Übersicht zu dem Thema finden Sie auf der Internetseite der Universität Kiel, deren Allgemeinmedizinische Einrichtung wir unsere Studienergebnisse zur Verfügung gestellt haben. Auch in der wissenschaftlichen Allgemeinmedizin wurde das Thema klar und kritisch dargestellt. 

In Kenntnis dieses statistischen Effektes beraten wir die anfragenden Patienten, dass ein solcher Test nur sinnvoll ist, wenn mit einer hohen Wahrscheinlichkeit (die natürlich subjektiv unterschiedlich gut eingeschätzt werden kann) die Erkrankung durchgemacht wurde. Arbeitgeber, die ihr gesamtes Team untersuchen lassen wollten, haben wir explizit von diesem Schritt abgeraten. Über diese Selektion im Vorfeld des Tests gehen wir in unserm Patientengut von einer überdurchschnittlich hohen, d.h. > 50%-igen Vortestwahrscheinlichkeit aus.

 

Was bedeutet dies für die Interpretation der Testergebnisse?

Der Antikörper-Test gibt Auskunft darüber, ob die COVID-19-Erkrankung durchgemacht wurde. Eine Immunität kann angenommen werden, wenn IgG-Antikörper vorliegen, ist aber nicht gesichert. Beim Vorliegen von IgM-Antikörpern warnen wir, dass das Virus noch im Körper sein kann, d.h. eine Ansteckungsgefahr noch angenommen werden muss.

Wir werden Stand 30.04.2020 unsere schriftlichen Befundberichte erneut anpassen und die Bedeutung der Maßnahmen zur Reduktion von Ansteckungsmöglichkeiten auch für den Fall einer Immunität betonen. Denn selbst bei "COVID-19-immunen Patienten" ist eine Ansteckung über kurzzeitige Aerosol-vermittelte Viruslast oder Schmierinfektion noch möglich. Es gibt also niemals 100%-ige Sicherheit, nicht ansteckend zu sein. Für den Hinweis, dass wir diese -eigentlich in der Medizin selbstverständliche Aussage- im aufgeheizten Klima der Diskussion um die Corona-Pandemie nochmals besonders betonen müssen, danken wir unserm Kollegen Dr. Werner Ihling aus Vreden ausdrücklich. Für die weitere Diskussion stehen wir gerne zur Verfügung. 

Mit freundlichem Gruß

 

Dr. Dr. Heinz Giesen